
Museumsguide
This is no place you ever know me, Triptychon, 2025 - Papier, Porzellan, Keramik, Tusche
Die drei im Haus installierten Arbeiten funktionieren zugleich als Triptychon. Sie sind während und nach der Paper Residency ! im KunstOrt Lehnin entstanden. Im ersten Teil brechen runde Porzellanformen aus dem Papier hervor. Das kugelförmige Geflecht wirkt massiv, ist jedoch textil und beweglich. In meiner künstlerischen Praxis nutze ich Textilität als kulturellen Code: Sie verweist auf das Häusliche, das Weibliche, auf Sorgearbeit und Unsichtbarkeit – und bildet zugleich ein leises Moment des Widerstands gegen Zuschreibung und Hierarchie.
Im zweiten Teil treten die Motive der Residency deutlicher hervor. Die Zeichnungen in Tusche und Graphit verweisen auf Spuren weiblicher Körper; vor allem auf die Abwesenheit der Hände und Arme der „Großen Stehenden“. Arme stehen hier sinnbildlich für Selbstbestimmung, Unabhängigkeit und Schutz; Fingerabdrücke wiederum markieren Identität.
Der dritte Teil besteht aus einer Gruppe von Zeichnungen auf „keramifiziertem“ Papier. Die Skizzen und Schattierungen formen kein eindeutiges Bild, sondern erzeugen gemeinsam mit den Zwischenräumen eine vage Anmutung. Sie geben Hinweise auf einen Körper – einen Körper, der zwar anwesend ist, jedoch ohne Kontext und ohne klare Identität.
Justina Monceviciute (Litauen) lebt und arbeitet in Berlin. Sie studierte zunächst Zeichnen in Vilnius und anschließend an der Weißensee Kunsthochschule Berlin im Studiengang Textile & Surface Design, mit Fokus auf experimentelle Materialien. Seit 2019 zeigt sie ihre Arbeiten international, u. a. in den Berlinischen Galerien, am COLLECT Somerset House London und im Vilnius University Museum. Monceviciute lehrt u. a. an der Weißensee Kunsthochschule Berlin und ist Stipendiatin der Paper Art Residency 2025 im Haus des Papiers.
Studie 1- 10, 2025 – FineArt-Papiere unter Spannung
Maja Behrmann nutzte die Paper Residency in Berlin, um ihre installative Praxis erstmals mit Papier zu erproben. Das Material wurde für sie nicht nur Träger, sondern Partner: Es kann halten, tragen, sich wölben, erinnern – und mit jeder Bewegung eine eigene Spannung erzeugen.
Farbe und Form sind die beiden Kräfte, die Behrmanns Werk bestimmen. Farbe ist für sie kein harmonisches Arrangement, sondern ein System von Energien. Sie lässt Farbtöne bewusst aneinanderstoßen, Reibung entsteht, und sie beobachtet, wie diese Reibung Wärme und Bewegung erzeugt. Behrmann besitzt ein tiefes, fast magisches Gespür für die Kräfte, die Farben im Raum freisetzen können. Ihre Installationen entwickeln daraus eine besondere Präsenz: nicht laut, aber deutlich spürbar.
Form wiederum begreift die Künstlerin als räumliches Wesen. In früheren Arbeiten entstanden überdimensionale Gebilde – maschinenhafte Konstruktionen, weitergedachte Alltagsobjekte oder ineinandergreifende Zahnräder – ebenso absurd wie weich. Sie schuf organische Körper, die sich selbstverständlich in den Raum stellten oder legten. Ihre Objekte wirken vertraut und fremd zugleich, wie vergrößerte Spielzeuge oder abstrakte Gegenstände, deren Funktion man intuitiv fühlen, aber nicht mehr benennen kann.
In der Residency näherte sich Behrmann dem Material Papier mit genau dieser Sensibilität. Sie untersuchte, wie Formen entstehen können, die nicht einfach Holz oder andere Materialien imitieren, sondern aus dem Papier selbst herauswachsen. Die Ergebnisse sind Versuche, Studien, tastende Annäherungen – und gerade in ihrer Offenheit und Verletzbarkeit überzeugend. Das Papier antwortet der Künstlerin: Es spannt sich, verzieht sich, widersetzt sich kleinen Erwartungen. Es lässt sich gestalten und bricht doch plötzlich aus. Genau in diesen Abweichungen entsteht Lebendigkeit.
Erstmals hat uns eine Künstlerin gestattet, einen Blick in die Arbeitsprozesse eines Ateliers zu werfen. Wir zeigen hier eine Vielzahl experimenteller Momente – „work in progress“-Objekte, die Besucher nur hier und nie wieder öffentlich sehen werden. Das begeistert uns.
Behrmanns Farbwelten bleiben dabei unverwechselbar. Sie wirken fein, beinahe feminin, und entfalten zugleich eine unberechenbare Vielstimmigkeit. Die Künstlerin übersetzt ihre Wahrnehmung der Welt in Farbkräfte und Raumkörper – präzise, klar und mit einer intuitiven Sicherheit, die ihrer Arbeit Tiefe und Leichtigkeit zugleich verleiht.
Maja Behrmann (*1994 Frankfurt am Main) lebt und arbeitet in Leipzig. Sie studierte Grafik und Buchkunst an der Hochschule Leipzig und war Meisterschülerin an der Kunsthochschule Halle. Sie beteiligte sich international an diversen Ausstellungen, u. a. in der AKI Gallery in Taipei, Taiwan, der Universitätsgalerie der Angewandten in Wien, Österreich, der Galerie der Stadt Backnang, den Kunstsammlungen Max-Pechstein-Museum in Zwickau, der Kunsthalle Charlottenburg in Kopenhagen, Dänemark, und im Kunstquartier Bethanien, Berlin. Sie ist Stipendiatin der 2025 Paper Art Residency im Haus des Papiers.
Partition 115, 2018 – Fotoobjekt, Unikat
Wenn man der Fotografie alles Inhaltliche entzieht, was bleibt?
Dieser Frage ging Christiane Feser nach und fand: Es bleiben Licht, Schatten und das Material Papier. Daraus erschuf sie ihr Spielfeld. Mit digitaler Bildbearbeitung angefangen, verwendet sie seit 2008 verstärkt „echtes“ Werkzeug. Sie fotografiert, dann faltet und schneidet sie die Aufnahmen, ritzt, sticht, fügt den Oberflächen Fäden und Fasern hinzu und arrangiert alles neu – nur, um es noch einmal durch die Linse der Kamera festzuhalten. Dem fotografischen Sehen der Kamera, einer Realität, die "mal da war", setzt Feser das menschliche Sehen mit dem Auge entgegen. Das Zwei- und Dreidimensionale wird miteinander verwoben, bis sich die Aufnahme in ein „Foto-Objekt“ verwandelt.
Am Anfang der fortlaufenden Serie Partitionen standen Faltungen von einzelnen Papieren. Aus tausenden von gefalteten Din A4-Blättern formte Feser über Monate immer neue Module, die sie dann durch die Kamera festhielt und zurück ins Dreidimensionale überführte. So vertiefte sie ihr analytisches Wissen über Material, Licht und Schatten, bis sie sich an die Entwicklung ihrer sehr eigenständigen Partitionen machte. Christiane Fesers großformatige Arbeit Partition 115 im Eingangsbereich lebt von der meisterlichen Beherrschung des Werkstoffs Papier, der sich wie ein Wasserfall aus Papierstreifen in den Raum ergießt.
Christiane Feser (*1977 Würzburg, Deutschland) studierte an der Hochschule für Gestaltung Offenbach. Ihre Arbeiten werden weltweit in Ausstellungen gezeigt, darunter im Frankfurter Kunstverein; dem Getty Museum, Los Angeles; dem Kunstmuseum Bochum; dem Palazzo Strozzi, Florenz sowie im Solomon R. Guggenheim Museum, New York. Ihre Werke sind in den Sammlungen des Guggenheim Museums, New York; im Minneapolis Institute of Art; im Mönchehaus Museum, Goslar; im ZKM Karlsruhe und der Sammlung Klein. Christiane Feser ist die erste Stipendiatin der Paper Residency! des Haus des Papiers.
Blind / roof / coffee time, 2025 – Papier, Kaffeefilter, Fundobjekte
Während ihrer vierwöchigen Residency im Kunstort Lehnin widmete sich Laura Matukonytė ganz dem Werkstoff Papier. Sie arbeitet präzise, strukturiert und mit großer Geduld – und nähert sich Materialien nicht über Hilfsmittel, sondern über Berührung. Für sie entsteht Form im Dialog: durch Wiederholung, durch Aufmerksamkeit und durch ein körperliches Gespür für Oberflächen und ihre Reaktionen.
Matukonytė formt nicht nach einem festen Plan, sondern nach Begegnungen. Sie arbeitet mit Fundstücken aus der Umgebung – einem alten Metalldach, zerbrochenen Holzjalousien, Tischen, Stufen, Kaffeefiltern aus dem örtlichen Café. Viele ihrer Arbeiten entstehen, indem sie nasses Papier an diese Gegenstände anlegt, es trocknen lässt und beobachtet, wie es sich hält, dehnt oder in sich zusammenfällt. Wasser und Zeit wirken dabei wie Mitgestalter.
In Blind verwandelt sich eine beschädigte Holzjalousie in eine neue Papieroberfläche, gefärbt mit Kaffee. Die ursprüngliche Funktion bleibt als Spur sichtbar – ein beiläufiger Hinweis auf alltägliche Rituale und die Veränderungen von Licht.
In roof interpretiert Matukonytė die Form eines Dachs neu: nicht als Schutzkonstruktion aus Holz oder Metall, sondern als Papierkörper, der seine Gestalt allein durch Trocknung und Materialspannung findet.
In coffee time nutzt sie gebrauchte Kaffeefilter. Die Objekte bewahren Spuren ihrer früheren Funktion, tragen Farbverläufe, Körnungen und Ränder in sich und erinnern daran, wie eng Material, Ritual und Erinnerung miteinander verbunden sind.
Laura Matukonytė arbeitet mit großer Disziplin und einer bemerkenswerten Ruhe. Sie nimmt weite Wege in Kauf, organisiert alles selbst – und begegnet dem Prozess mit unverstellter Freude. Ihre Arbeiten entstehen langsam, aus Aufmerksamkeit und aus einer tiefen Wertschätzung für das Material. Sie zeigen Papier als etwas Fragiles und zugleich Eigenständiges: als Stoff, der selbst entscheidet, wie weit er sich formen lässt.
Laura Matukonyté (*1984, Litauen) studierte zunächst Modedesign an der Kunstakademie Vilnius, bevor sie sich der Skulptur zuwandte. Seit 2023 zeigt sie ihre Arbeiten international, u. a. in der National Gallery of Art Vilnius, im M. K. Čiurlionis National Museum of Art, in der Camberwell Space Gallery, an der UAL London, in der Meno Parkas Gallery und im Kunstort Lehnin. Sie ist Stipendiatin der Paper Art Residency 2025 im Haus des Papiers.
Patchwork 43, 2023 – Karton, Papier auf Karton
Patchwork 44, 2023 – Karton, Papier auf Karton
Seit seiner Kindheit wurde der Künstler und Designer durch das Thema „Textilien“ geprägt, das durch sein Elternhaus in seinem Alltag sehr präsent war. Schon als Jugendlicher verschlang er Modemagazine und beschäftigte sich mit Stoffen, Garnen und Farben. Während dieser Zeit entwickelte er seine Papier-Collagen, in denen er gezielt Bildinhalte aus Magazinen und Tageszeitungen zu neuen Motiven zusammenfügte. Geschichtet und verschlungen bilden sich in Boras Arbeiten Strukturen aus Papier, die auf den zweiten Blick erstaunlich vertraut wirken.
Das konzeptuell verbindende Element seiner Arbeiten ist die strenge Auswahl seiner verwendeten Vorlagen: Ausschließlich Papiermaterial, das durch Einkäufe oder durch den Postversand in seinen Haushalt gelangt ist, wird dekonstruiert und neugestaltet.
Cem Bora (*1965 Istanbul, Türkei) lebt und arbeitet in Berlin. Nach seiner Ausbildung am „Fashion Institute“ des Lette Vereins Berlin arbeitete er für Stilbüros in Paris und Amsterdam. Zwischenzeitlich gründete er ein eigenes Modelabel. Seit 2005 stellt Bora seine Arbeiten aus Papier aus, unter anderem in Ausstellungen in Berlin, Basel, Paris und Luxemburg. Er ist vertreten in der Sammlung Modebild-Lipperheidesche Kostümbibliothek, in den Staatlichen Museen zu Berlin.
6. Inherited Desire, 2018 – Lithographie auf BFK Rives
12. The Sum of All Best Practices VI, 2021 - Graphit auf Papier, Collage montiert auf Spiegelglas mit Künstlerinnenrahmen
Jorinde Voigts Arbeiten wirken, als seien sie in ständiger Bewegung. Linien wachsen, stoßen aneinander, überschneiden sich und öffnen neue Räume. Ihre Zeichnungen entstehen aus einer Konzentration nach innen: Jede Linie ist Spur eines Denkens, eines Vergleichens, eines Wahrnehmens. Es sind Notationen von Vorgängen – nicht Abbildungen von Dingen.
Inherited Desire:
Seit Mitte der 2000er Jahre hat Jorinde Voigt ein eigenes grafisches System zur Übersetzung von Erfahrungen, Gedanken und Sinneseindrücken auf Basis von philosophischen Schriften und Kommunikationsmustern in der Musik entwickelt. Voigt übersetzt die Untersuchungsgegenstände in eine eigene Grammatik, die als präzise gezeichnete Linien- und Schriftsysteme, mal als gestrichelte Farbflecken, farbige Collagen oder Blattgoldeinlagen erscheinen.
The Sum of All Practices VI:
In der Serie The Sum of All Best Practices richtet Voigt ihren Blick auf die Formen der Natur. Ausgangspunkt sind Blätter, die sie im Herbst 2021 auf ihrem Weg zum Atelier in Berlin fand. Jedes Blatt trägt seine eigene Vergangenheit: Wachstum, Anpassung, Überleben. Voigt interessiert diese biografische Erinnerung der Form. Sie überträgt die Kontur mit Graphit auf Papier und schneidet sie präzise mit dem Skalpell aus – ein Vorgang, der Analyse und Operation zugleich ist. Der Schnitt wird zur sichtbar gemachten Denkbewegung.
Die ausgeschnittenen Formen werden zu einer Collage verdichtet. Sie überlagern sich, werfen Schatten, öffnen Zwischenräume. In dieser Topografie verschmelzen Struktur, Zufall und Licht miteinander; aus den einzelnen Blättern entsteht eine neue Linie – ein komplexes, räumliches System aus Bezügen.
Das Spiegelglas im Hintergrund verbindet Innen und Außen. Betrachtende werden Teil des Werkes, treten in Beziehung. Die Arbeit verweigert damit eine feste Perspektive: Sie bleibt offen, veränderlich, in Bewegung.
Voigts Werk verbindet analytische Präzision mit drängender Intensität. Ihre Linien strahlen Klarheit aus und zugleich eine innere Energie, die kaum zur Ruhe kommt. In ihren Collagen wird Zeichnung zu einem körperlosen Skulpturprozess – zu einem Denken, das sich im Raum manifestiert.
Jorinde Voigts Werke befinden sich in zahlreichen internationalen Sammlungen, darunter dem Art Institute of Chicago, Centre Pompidou Paris, Kunsthaus Zürich, The Morgan Library & Museum New York, Museum of Modern Art New York, Pinakothek der Moderne München, Staatliche Graphische Sammlung München und dem Kupferstichkabinett Berlin. Ihre Arbeiten werden weltweit ausgestellt und durch umfangreiche Publikationen begleitet.
Ohne Titel, 2025 – Hahnemühle Papier und Inkjet print
Für ihre Paper Residency in Berlin entwickelte Anna Bochkova erstmals eine Serie, in der sie mit Papier räumlich arbeitet. Ausgangspunkt ist ihre Auseinandersetzung mit Architektur – besonders mit den Spannungen zwischen globalen Baukonzepten und lokalen Lebensrealitäten, die sie durch ihre eigene Biografie immer wieder erfahren hat.
Bochkova fragt, wie Architektur entstehen könnte, wenn sie sich nicht an starren Rastern orientiert, sondern an Mustern der Natur: an Wellenlinien, Pflanzenstrukturen, klimatischen Bedingungen, Bewegungen von Landschaften. Für sie ist Bauen etwas Lebendiges – etwas, das sich an Orte anpasst, statt Orte zu überformen.
Aus beidseitig bedruckten Papieren, deren Oberflächen aus vergrößerten Strukturen von Dokumenten bestehen, baut sie kleine Modelle. Manche Formen erinnern an amorphe Körper, andere an verschobene Bausteine oder Fragmente eines Hauses. Sie wirken zugleich spielerisch und ernst, als würden sie von einer möglichen Zukunft erzählen, in der Wohnen nicht nur Schutz bedeutet, sondern auch Beziehung – zur Umgebung, zur Natur, zu den Menschen.
Die Objekte zeigen Muster, Ornamente und Linienführungen, die Bochkova als eigene architektonische Sprache erforscht. Für sie ist Ornament kein Beiwerk, sondern ein Entwurf: eine Idee davon, wie Gemeinschaft aussehen könnte. Statt Dogmen der Moderne weiterzuführen, sucht sie nach Alternativen, nach einer Architektur, die weicher denkt, offener, und zugleich zutiefst lokal verwurzelt bleibt.
Die hier gezeigten Papierarbeiten sind frühe Studien und Fragen. Sie irritieren und laden ein, sich vorzustellen, wie Räume entstehen könnten, wenn man sie nicht von oben plant, sondern von innen heraus wachsen lässt.
Anna Bochkova (1995 Rostov-on-Don, Russland) lebt und arbeitet in Hamburg. Sie studierte Stage Design am Moscow Art Theatre, anschließend Textuale Skulptur an der Akademie der bildenden Künste Wien sowie Fine Arts und Skulptur an der Hochschule für Bildende Künste Hamburg. Seit 2017 stellt sie international aus, u. a. im Belvedere Museum Wien, Kunstquartier Bethanien Berlin, Clemens Sels Museum Neuss, Kunsthaus Wien und im Kunstverein Harburger Bahnhof.
Overlay 1, 2025 – geschichtete Zeichnung mit flüssigen Kohlen, geschichtetes Papier
Zeichnung ist ein Ausgangspunkt ihrer Arbeit, gefolgt von Überlagerungen und Verdichtungen. Sie arbeitet gleichzeitig durchscheinend und leicht, drängt in den Raum, gestaltet ihn und nimmt ihn ein.
In der Arbeit Overlay, die während ihrer Residency im Sommer 2025 in Berlin entstand, überführt Monika Grzymala ihren grundlegenden Ansatz erstmals konsequent auf Papier. Bekannt geworden ist sie unter anderem mit raumgreifenden Installationen aus schwarzem Klebeband und Kunststoffbändern – harte Linien, die den Raum durchweben und zugleich zerschneiden, dramatisch und verbindend zugleich.
In der Residency im Künstlerstudio des Museum Haus des Papiers entwickelt sie diese Sprache weiter und verlagert das bildhauerische Zeichnen in ein neues, materialintensives Feld.
Auf mehreren einzeln gearbeiteten Büttenpapieren trägt sie hochwasserhaltige Malereien auf, die aus einer stark körperbezogenen Bewegung hervorgehen. Während des Trocknungsprozesses wölben sich die einzelnen Papierbögen und erzählen räumlich von der Übersättigung durch Wasser. Die verwendeten Aquarellfarben bestehen aus einer Partitur unterschiedlichster Schwarztöne – gebrannte Erden, geköhlte Hölzer und die Kohle diverser Steinfruchtkerne. Bevor sie die Farbe aufträgt, schichtet Grzymala die Papiere auf raffinierte Weise: Eine Fläche von etwa 2,5 × 1,5 Metern entsteht, in der einzelne Bögen partiell verdeckt bleiben. Während des Malprozesses überlagern sich die Spuren, fließen ineinander und lassen zugleich überraschende Weißräume zurück, die wie eingeatmete Leere zwischen den Gesten wirken.
Die Kraft dieser Arbeit liegt in ihrer klar durchdachten räumlichen Setzung: Jede Verschiebung und jedes Verhältnis der Blätter ist bewusst komponiert. Die bemalten Bögen schweben frei im Raum, hängen in feinen Versätzen und bilden eine Architektur aus Schicht, Verschiebung und Durchblick. Grzymala öffnet den Raum, ohne ihn zu dominieren; sie setzt ihn unter Spannung, ohne ihn zu zerstören. Das, was hier sichtbar wird, ist in Grzymalas Werk neu – und zugleich konsequent: eine Erweiterung ihrer raumzeichnerischen Praxis. Die Installation markiert eine Form des Arbeitens mit Papier im Raum, die in ihrer Konsequenz und Wirkung außergewöhnlich ist.
Einmal mehr zeigt das Residenzprogramm, welche einzigartige, innovative und treibende Wucht hier entstehen kann.
Monika Grzymala (1970 Zabrze, Polen) lebt und arbeitet in Berlin. In Kaiserslautern vollendete sie eine Ausbildung in Steinbildhauerei und studierte Bildende Kunst in der Hochschule Karlsruhe, Kassel und Hamburg. Ihre Werke wurden bereits ausgestellt im Museum of Modern Art New York, Tokyo Fuji Art Museum, Hamburger Kunsthalle und in der Albertina in Wien. Sie war Lehrkraft an der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig und der Universität für angewandte Kunst Wien. Sie ist Stipendiatin der 2025 Paper Art Residency im Haus des Papiers.
Ohne Titel, 2025 – Roter Farbstift auf Hahnemühle Rice Paper geschnitten, auf Karton montiert, Edition von 40 (käuflich bei uns erwerbbar)
Hinsberg ist eine der prominentesten deutschen Künstlerinnen, die den Begriff der sogenannten „Raumzeichnung“ und das Medium des Scherenschnitts geprägt haben. Seit den 1990er Jahren konzentriert sich ihr Werk auf die Zeichnung und verschiedene Prozesse ihrer Dekonstruktion. Sie zeichnet und transformiert die handgezeichneten Linien durch Schnitte und Bohrungen in den Papieroberflächen. Ihre Arbeiten reichen von feinen Papierschnittrastern über raumgreifende, schwebende Papierstreifen bis hin zu mit farbigem Papier verkleideten Innenräumen. Allesamt eindrucksvolle Beispiele dafür, dass das Medium der Zeichnung längst über die enge Definition von Linien auf Papier hinausgewachsen ist.
Die hier gezeigte Arbeit zeigt in ihrer zarten Form diese Transformation zwischen Zeichnung, Relief bis hin zum dreidimensionalen Objekt. Der „übliche“ Träger, das Papier, wird hier zum Zeichen, wird Linie und doch auch zum hervorgehobenen Körper, der scheinbar schwebend seinen Schatten zart auf den Hintergrund wirft. Das Material tritt in den Vordergrund.
Katharina Hinsberg (*1967 Karlsruhe, Deutschland) lebt und arbeitet in Saarbrücken. Sie studierte Bildende Kunst in München, Dresden und Bordeaux. Seit 1997 ist sie künstlerisch tätig, zunächst mit Projektleitungen und Lichtinszenierungen, später als Lehrende an der Hochschule für Künste Bremen und seit 2011 an der Hochschule der Bildenden Künste Saar. Ihre Arbeiten werden seit 1992 international gezeigt, u. a. in der Kunsthalle Mannheim, der Staatlichen Kunstsammlung Dresden, der Kunstsammlung NRW (K20 Düsseldorf), im Museum des ifa und im Kunstmuseum Stuttgart.
Was wiegt Zeit? Wer misst Zeit? Wann ist Zeit?, 2025 – genäht aus Japanpapier, schwarzer Sand
Innen und außen, Einblick und Durchblick, fest und weich. Sheila Furlans Arbeiten bewegen sich stets in einem Dialog zwischen Raum, Fläche, Transparenz und Undurchdringbarkeit. Ihre zarten Räume, die sie vorwiegend aus durchscheinendem Organza-Stoff und präzisen Nähtenerschafft, machen die sonst unsichtbaren Zwischenräume sichtbar.
In der hier ausgestellten fünfteiligen Papierarbeit beschäftigt sich die Künstlerin mit der visuellen Erforschung, wie Menschen versuchen, sich mit dem Verständnis und der Beherrschung von Zeit auseinanderzusetzen. Zugleich verweist die unvollendete Sanduhr auf das Scheitern des Mess-Experiments. Die nach einer Stunde unterbrochene Sanduhrhälfte steht als stummer Kommentar dem ungreifbaren, subjektiven und meist flüchtigen Gefühl des Zeitverstreichens gegenüber. Der Titel greift somit die Kernfrage der Arbeit auf und richtet sich direkt an die Betrachtenden.
Sheila Furlan (*1974 Rom, Italien) lebt und arbeitet in München. Nach einer Ausbildung im Flamenco-Tanz in Deutschland und Spanien wandte sie sich 1997 der bildenden Kunst zu und studierte an der Akademie der Bildenden Künste München. Seit 2000 zeigt sie ihre Arbeiten in verschiedenen Institutionen, u. a. im Museum Villa Rot (Burgrieden), im Museum Penzberg, in der Kunsthalle Rosenheim und im Kunstquartier Wien.
TOTEM, 2025 – Urnenobjekte, Pulpe aus Kohlezeichnungen und Studien der Zyklen
MEN I TRUST, sixteen days of recording water, becoming corpus, coming in swarms
Kohle, Asche, Ruhrwasser, vegetabile Objekte, verschiedene Hahnemühle Papiere, unbehandeltes Lindenholz, geköhltes (verbranntes) Eschenholz.
Tierasche
Die beiden Urnenobjekte aus der Serie „TOTEM“ sind die aktuellsten Werke der
Schwerter Künstlerin Jessica Maria Toliver und werden erstmals im Museum Haus
des Papiers Berlin gezeigt.
Sie markieren eine prägnante Weiterentwicklung ihrer künstlerischen
Auseinandersetzung mit dem Werkstoff Papier und knüpfen inhaltlich an die
Selbstportraits „Innere Sicherheit“, „abends wenn ich schlafen geh`“ sowie den
mehrteiligen Zyklus „sixteen days of recording water“ an.
In den neuen Urnenobjekten verdichtet die Künstlerin die symbiotische und
mehrebige Mensch -Tier - Beziehung auf radikal transformative Weise, indem sie
Studien, Skizzen und ganze Werkgruppen in einem performativen Akt zerreißt,
verbrennt und zu Pulpe verarbeitet.
Diese Pulpe modelliert sie anschließend um ein extra konzipiertes Holzmodell, das
die spätere Urnenform vorgibt.
Die getrocknete Pulphaube dient als Träger für die im letzten Herstellungsschritt
aufgetragene Original -Tierasche, die den Urnenobjekten ihre Färbung und Struktur
verleiht.
Die beiden Objekte vereinen Symbolik, Metaphorik, mystische und spirituelle
Ebenen. Sie stellen einerseits Fragen nach Endlichkeit und Tabubruch und setzen
sich andererseits auf ästhetisch-pragmatische Weise mit KünstlerInnennachlass
und persönlicher Weiterentwicklung auseinander.
In Form und Funktionalität entsprechen die Urnenobjekte marktüblichen Modellen.
(Text: Jessica Maria Toliver)
Jessica Maria Toliver (*1976 Coburg, Deutschland). Sie lebt und arbeitet in Schwerte, Nordrhein-Westfalen. Nach Ausstattungsassistenzen in Dortmund und Berlin entschied sie sich 2008 für die freie bildende Kunst und befasst sich seitdem mit Papier. Ihre Werke befinden sich in musealen Sammlungen wie dem Gustav-Lübcke- Museum, Hamm und dem Haus des Papiers, Berlin sowie u.a. in der Bürgerstiftung Rohrmeisterei, Schwerte, sowie in zahlreichen privaten Sammlungen. Sie war Stipendiatin der Paper Residency! 2022.
In dieser Ausstellung werden die Ergebnisse zweier Open Calls aus diesem Jahr präsentiert. Zum einen aus einer Kooperation mit dem Open Press Project
Rising Prints
Preisträgerinnen:
Gold: Julie Belle Bishop
Silber: Ellen van Vollenhoven
Bronze: Rosan Catteuw
Weitere Teilnehmende: Sarah Adomßent, Marz Aglipay, Isabel Allaert, Roberta Bergmann & Annette Szendera, Julie Belle Bishop, Tania Chou, Jo @ Flitch Creative, Eva Fis, Antje Fischer, Ulla Franke, Jennifer Garthwright, 3 gatospress (Alejandra and Xavier), Sabine Hilscher, Julia Kaergel, Claudia Kammacher, Jayati Kaushik, Rosemarie Knaust, Eleanor Keith, Elisabeth Kirschbaum, Hilke Kurzke, Isabelle Lin (echo), Friedrich Mayer, Sadaf Mirza, Emmy Pellico, Nicole Pettigrew, Annette Rosensträter, David Wassermann, Marie-Louise Wasiela, Lee Yenjen, Carla Zockoll
Spitteleck Pushed the Sky Away (View from the Fifth Floor, Thinking about Bernd and Hilla Becher), 2025 – Papier
Elisabetta Bonucelli (*Turin, Italien) lebt und arbeitet seit 2004 in Mailand. Nach Designstudien und zahlreichen Japanreisen fand sie zum Origami und widmet sich seitdem der freien papierbasierten Kunst. Sie gründete das unokostudio 2014. Ihre Arbeiten entstanden u.a. für Benetton, Feltrinelli, Versace, Cartier und waren bei der Lucca Biennale sowie internationalen Design- und Origami-Ausstellungen vertreten.
Ohne Titel, 2025 – Papier
Geometrie, Licht und Schatten formen meditative Kompositionen, oft basierend auf variierenden Hexagonstrukturen. Ihre minimalistischen Installationen wirken wie Kraftorte. Sie bietet zudem individuelle Auftragsarbeiten in verschiedenen Größen, Farben und Formaten an. So entstehen ruhige Räume, die Betrachter zum Verweilen und zur inneren Sammlung einladen.
Sie kommt aus Eching und nach vielen Jahren im Projektmanagement erstellt sie seit 2022 dreidimensionale Werke aus präzisem und sanft bearbeitetem Papier.
Releaf Paper
Einkaufstüte – Recyceltes Stadtlaub
Releaf Paper ist ein junges, innovatives Unternehmen, das Grünabfälle in wertvolle Rohstoffe für die Papier- und Verpackungsindustrie verwandelt. Durch die Verbindung von wissenschaftlichem und unternehmerischem Enthusiasmus verändern sie die Wahrnehmung der Menschen in Bezug auf die verantwortungsvolle Nutzung von Ressourcen für die Papierherstellung.
Das Unternehmen wurde 2021 in der Ukraine durch die Zusammenarbeit eines talentierten Wissenschaftlers und eines erfolgreichen Unternehmers gegründet.
Releaf Paper nutzt aktiv Vertragsfabriken in der Ukraine und der EU, um Papier und Verpackungen mit der Releaf-Technologie herzustellen. Was als Forschungsprojekt eines 16-jährigen Schülers begann, hat sich innerhalb von fünf Jahren zu einem internationalen, dynamischen Startup-Unternehmen mit Büros in Paris und Kiew und globalen Ambitionen entwickelt.
System 180
Die Berliner Firma System 180 entwickelt Raumkonzepte mit vielfältigen Ansprüchen auf dessen Nutzung, die kreative Denk – und Schaffensprozesse begünstigen. Dabei legt sie Wert auf lokale Entwicklung und Produktion mit Blick auf ein zeitloses Design, Kombinierbarkeit sowie mit einem besonderen Fokus auf deren Recycling-Fähigkeiten.
In unserer Ausstellung präsentieren wir zwei Forschungsprojekte der Firma zum Thema Nachhaltigkeit:
LignoLight, 01.05.2023–30.11.2026 – Einsatz von Lignin zur Entwicklung von Leichtbaumöbeln
Projektteilnehmer: Technische Hochschule Bingen, Weißensee Kunsthochschule Berlin, Fraunhofer-Institut für Holzforschung WKI, TECNARO GmbH, CompriseTec GmbH, System 180 GmbH, Lignopure GmbH, Trippen A. Spieth M. Oehler GmbH
Das Projekt LignoLight konzentriert sich auf die Nutzung von Lignin zur Entwicklung neuer Materialien. Ziel ist es, die Einsatzmöglichkeiten von Lignin für modulare Leichtmöbel zu erforschen. Ein wesentlicher Aspekt des Projekts ist das Recycling, das sowohl die Wiederverwendung kompletter Baugruppen (Design for Cyclability) als auch die sortenreine Trennung und Aufbereitung der Materialien (Design for Disassembly) umfasst. Zusätzlich werden Konzepte für die Rücknahme und mögliche End-of-Life-Szenarien entwickelt.
Lignin stellt neben der Zellulose mit ca. 20–30 % den zweiten Hauptbestandteil des Holzes dar. Lignin besteht aus festen Biopolymeren und ist ein zentraler Bestandteil von Holz. Es ist nicht wasserlöslich und dadurch biologisch schwerer abzubauen als andere Stoffe. Lignin bildet wichtige Strukturmaterialien im Stützgewebe der meisten Pflanzen. Es bildet sich um und in den Zellwänden und verleiht diesen Festigkeit.
Das bisher eher als Abfallstoff betrachtete Lignin wird aus dem Zellwandmaterial verholzter Pflanzen, der Lignocellulose, gewonnen. Diese wird vor allem in der Papierherstellung als Rohstoffquelle für Zellulose und Hemicellulose benötigt.
(Text von Francesco Coccia, System 180)
Gefördert durch: Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz im Programm Technologietransfer-Programm Leichtbau (TTP LB)
ReSpan, 01.06.2021–31.12.2024 – Recycling von Spanholzwerkstoffen
Projektteilnehmer: Frauenhofer Institut für Angewandte Polymerforschung AIP, Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde, PreZero Stiftung & Co. KG, Pfeifer Holz Lauterbach GmbH, System 180 GmbH
Das Projekt ReSpan hat das Ziel, ein Recyclingverfahren für Holzwerkstoffe, im Besonderen für MDF, OSB, Flachpressplatten und Palettenklötze zu entwickeln. Dabei sollen nicht nur Teile, sondern möglichst alle Bestandteile der Werkstoffe einer Nachnutzung zugeführt werden. Hierfür muss eine dem jeweiligen Plattenwerkstoff chemisch angepasste Recyclingformulierung gefunden werden, die in der Lage ist, den in den Werkstoffen duroplastisch ausgehärteten Klebstoff ohne Schädigung der Holzspäne und/oder -fasern zu lösen.
Medium Density Fiberplate, auch Mitteldichte Faserplatte (MdF), ist ein in Längs- und Querrichtung gleichermaßen einheitlicher Holzwerkstoff aus fein zerfasertem, hauptsächlich rindenfreiem Nadelholz. Die Kanten sind glatt und fest und können ohne besonderen Anleimer profiliert werden.
Oriented Strand Board, Langpressspanplatte (OSB), ist ein Holzwerkstoff der aus langen, schlanken, ausgerichteten Spänen (strands) hergestellt wird. Erfinder war Armin Elmendorf im Jahre 1963.
Flachpressplatte, stellt die größte und bekannteste Untergruppe der Spanplatten dar. Die Flachpressplatte ist ein Holzwerkstoff, der aus unterschiedlich großen beleimten kleinen Spänen besteht, die in zumeist drei bis fünf Schichten zu Mehrschichtplatten verpresst werden. Die äußeren Schichten bestehen dabei fast immer aus dem feineren Spanmaterial, insbesondere wenn sie anschließend zu dekorativen Zwecken beschichtet werden. (Text von Francesco Coccia, System 180)
Gefördert durch: Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft im Programm Charta für Holz 2.0
Loop Biotech
Loop Biotech ist eine niederländische Firma, die Beerdigungsprodukte aus lokalen Pilzen züchtet: 100 % natürlich, biologisch abbaubar, bodenverbessernd und darauf ausgerichtet, mit der Natur eins zu werden.
Hier zeigen wir eine Materialprobe aus dem pilzbasierten Rohstoff, der verarbeitet wird. Hiermit wird zum ersten Mal eine naturbereichernde Bestattung ermöglicht, die Traditionen und zukunftsgerichtete Natur fördernde Materialverendung zusammenbringt.
TU München Lehrstuhl Materialforschung Biopolymere Straubing – Alexander Helmbrecht, Felicitas von Usslar, Weixuan Wang, Prof. Cordt Zollfrank
Balsaholz am Ende delignifiziert
Buchholz, Querschnitte unbehandelt
Diverse Holzproben in verschiedenen Stadien der Oberflächendelignifizierung
Getrockneter Celluloseschaum – bestehend aus bakterieller Cellulose
Cottonid Muster
Das Projekt „Vom Holz zum Papier“ des Lehrstuhls für Biogene Polymere an der TU München zeigt die Transformation von Holz zu Zellulose und weiter zu Papier.
Ausgangsmaterialien wie Balsa- und Buchenholz werden chemisch delignifiziert, wobei das Lignin entfernt wird und die Zellulose-Struktur erhalten bleibt. Verschiedene Stadien der Delignifizierung werden dokumentiert, vom festen Holz über Zellulosefasern bis hin zu Papiervarianten. Zudem werden innovative Materialien wie bakterieller Celluloseschaum und Cottonid vorgestellt. Mikroskopische Aufnahmen veranschaulichen die strukturellen Veränderungen während des Prozesses. Das Projekt verdeutlicht die Umwandlung von Holz zu nachhaltigen Papier- und Zelluloseprodukten.
LaNaSys – Entwicklung eines material- und energieeffizienten Holzbausystems aus Laub- und Nadelholz
Das Projekt LaNaSys soll einen Beitrag zu einer materialeffizienten und nachhaltigen Nutzung des einheimischen Rohstoffs Holz im modernen Holzbau leisten und konzentriert sich auf die Weiterentwicklung von Brettsperrholzbauteilen. Diese Bauteile werden bisher nahezu ausschließlich aus Nadelholz gefertigt, eine Ressource, die knapper werden wird. Daher werden hier Laubhölzer geringerer Qualität, käfergeschädigtes Holz sowie Furnierresthölzer für die Innenlagen verwendet. Aufgrund einer aufgelösten Lage befinden sich in der Konstruktion Hohlräume, die besondere Anforderungen an den Brandschutz stellen.
Um die tragende Konstruktion zu schützen, wird eine Brandschutzschicht aus modifiziertem Cottonid eingeklebt. Cottonid, auch als Vulkanfaser bekannt, ist einer der ältesten bekannten Biokunststoffe.
Zur Herstellung einer Cottonid-Platte werden mehrere Papiere für eine bestimmte Zeit bei einer bestimmten Temperatur in einem Katalysatorbad eingeweicht. Das Papier wird durch den Katalysator an der Oberfläche angeätzt, sodass sich nur eine geringe Menge der natürlichen Cellulose auflöst und wieder repolymerisiert, was zu einer Verbindung zwischen den einzelnen Fasern und zwischen mehreren Papierschichten führt. Nach der Reaktion werden die chemischen Rückstände sorgfältig ausgewaschen, und das Cottonid kann gepresst, getrocknet und in Form gebracht werden. Cottonid lässt sich problemlos schneiden, fräsen, stanzen, drehen, biegen, hobeln, kleben und färben. Die Wiederverwendung des Katalysators und die Verwendung von Cellulose als Rohstoff machen Cottonid zu einem nachhaltigen Biokunststoff.
Damit das Cottonid als Brandschutzauflage verwendet werden kann, wird bereits zum Papierausgangsmaterial Blähgraphit in einer bestimmten Konzentration hinzugefügt. Der Blähgraphit reagiert unter Hitzeeinfluss und bildet eine schaumartige Struktur. Diese schaumartige Struktur entsteht aufgrund der Plättchenstruktur des Graphits und der Gasfreisetzung, die diese auseinanderdrückt. Den hier zugrunde liegenden Effekt nennt man Intumeszenz. Es bildet sich eine isolierende Schicht, die die dahinterliegenden Bauteile vor Hitze und Flammen schützt sowie Hohlräume schließen kann. Zusätzlich wird durch diese oxidierende Oberfläche Sauerstoff verbraucht, sodass die umgebende Luft nahezu inert wird und als Löschmittel dienen kann. Bei der Oxidation entstehen keine weiteren Flammen und die Hitze wird von der Umgebung weggenommen. Im Idealfall könnten so die Flammen in einem geschlossenen Raum erstickt werden, nachdem der Sauerstoff verbraucht ist oder die Brandlast verbrannt ist. Die Schäden durch Wasser nach einem Löscheinsatz sind teilweise erheblich und erhöhen die Kosten einer Sanierung deutlich. Das LaNaSys-Deckenelement könnte hier eine Brandschutzalternative bieten. Ausgehend vom Idealfall müssten keine Löscharbeiten stattfinden. Die tragenden Bauteile werden durch die Cottonid-Schicht geschützt und eine Erneuerung des Brandschutzes könnte einfach erfolgen, indem die aufgeblähte Cottonid-Schicht abgetragen wird und eine neue aufgeklebt wird. (Text: Alexander Helmbrecht)
Dr. Cordt Zollfrank leitet den Lehrstuhl für Biogene Polymere der Technischen Universität München am Campus in Straubing. Alexander Helmbrecht arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter und Doktorand am Lehrstuhl für Biogene Polymere der Technischen Universität München unter der Leitung von Prof. Cordt Zollfrank. Zuvor studierte er im Bachelor und anschließenden Master „Nachwachsende Rohstoffe“ an der TU München am Campus in Straubing. Zum 1. Oktober 2021 schloss er sich dem Lehrstuhl für Biogene Polymere an. Felicitas von Usslar arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin und Doktorandin am Lehrstuhl für Biogene Polymere der Technischen Universität München unter der Leitung von Prof. Cordt Zollfrank.
Eva Bullermann
Petrischale 1 – Carboxymethylcellulose, Glycerin
Petrischale 2 – Schaum aus Carboxymethylcellulose und Mikrokristalliner Cellulose
Petrischale 3 – Carboxymethylcellulose, Glycerin – getrocknet auf verschiedenen Unterlagen
Phiole 1 – Eierschalenhaut
Phiole 2 – Luffa Schwammkürbis
Phiole 3 – Haut zwischen Lauchzwiebellagen
Phiole 4 – Lauchzwiebellage
Luftkissen aus Carboxymethylcellulose, Glycerin verklebt mit Weizenkleister
Gerahmt:
Carboxymethylcellulose, Glycerin – mit Programm Grasshopper generiertes Muster zur Entstehung von Form durch Wasser und Luft in Pflanzen
Carboxymethylcellulose, Glycerin, Luftgefüllte Kammer verklebt mit Weizenkleister – Probe aus hoch konzentrierten Gelen
Carboxymethylcellulose, Glycerin, Zwiebelzellenmuster
3D Druck aus PLA (Polylactide) – Probe
In ihrer Masterarbeit zum Thema „Gestalten mit Cellulose, Luft und Wasser“ untersucht Bullermann die Verwendungsmöglichkeiten der stabilen, biologisch abbaubaren Strukturen von Cellulosefasern. Eva Bullermann versucht am Vorbild der Natur materialsparende komplexe Strukturen zu erschaffen, die Luft und Wasser als Material in den Gestaltungsprozess mit einbeziehen. Die ausgestellten Proben zeigen Modelle aus dem Cellulosederivat Carboxymethylcellulose, welches in der Lebensmittelindustrie als Verdickungsmittel verwendet wird. Durch die Ableitung aus dem Ausgangsstoff Cellulose kann diese mit Wasser zu einem viskosen Gel angerührt werden, welches dann in Form gegossen, geschäumt und getrocknet werden kann.
Eva Bullermann (*1993 im Bayerischen Wald) ist Textil- und Flächendesignerin und beschäftigt sich in ihren Arbeiten auf künstlerischem Weg mit der Entstehung von Form in biologischem Material, sowie der Gestaltung von Material. Zuletzt war sie bei Matters of Activity im Projekt CollActive Materials als Projektassistenz und Gestalterin tätig. Im Projekt wurde spekulatives Design als Methode zur Wissenschaftskommunikation in Form von Workshops getestet.
Alexandra Fruhstorfer
Alexandra Fruhstorfer lebt und arbeitet in Wien. Sie arbeitet als transdisziplinäre Designerin und künstlerische Forscherin. Sie nutzt spekulatives, performatives und co-kreatives Design, um politische und kulturelle Modelle im technologischen und ökologischen Wandel zu hinterfragen.
The Secret Life of …., 2023
Klein und leicht schweben sie auf Berggipfel und sinken auf den Grund der Ozeane. Allein durch das Tragen von Polyesterpullovern verlieren wir täglich Tausende winziger Textilfasern, ohne es zu bemerken. Sie sammeln sich in den Staubflocken in den Ecken unserer Schlafzimmer oder gelangen in unsere Nasenlöcher und sogar in unsere Zellen.
Mehr als 65 % der weltweiten Textilproduktion besteht aus Erdöl, daher sind Kunststoff-Mikrofasern aus Textilien allgegenwärtig. Und dass, trotz der beunruhigenden Erkenntnisse aus neuesten Forschungen: Erdölbasierte Fasern können, sobald sie in unseren Körper gelangen, zu allen möglichen schweren Erkrankungen beitragen.
Die interaktive Installation „The Secret Life of ...” macht das Unsichtbare sichtbar. Die digitale Reflexion simuliert die Menge an Kunststoff-Mikrofasern, die wir allein dadurch in die Umwelt abgeben, dass wir in synthetischer Kleidung herumlaufen. Eine partizipative Wandinstallation lädt die Besucher dazu ein, eine persönliche Mikrofaserprobe zu hinterlassen. Das wachsende Diagramm zeigt die materielle und emotionale Zusammensetzung der im Raum vorhandenen Kleidungsstücke. (Text: Alexandra Fruhstorfer.
Gefördert von: INTRA program, University of Applied Arts, Federal Ministry of the Republic of Austria (BMKOES), Cultural Forum Milan, Culture Moves Europe (European Union), Free University of Bolzano.
Ihre international ausgestellten Arbeiten wurden mehrfach ausgezeichnet. Sie studierte Industrial Design, ist seit 2020 in der künstlerischen Forschung tätig und Mitgründerin des Kollektivs DTAFA.
Anna Handick
Gelege, 2010 – Zwiebelpapier
Handick setzt den Ausgangspunkt ihrer Arbeit in die Faszination für die Natur und die Sorge um ihre Erhaltung und Wiederherstellung. Darin untersucht sie vor allem Überlebensstrategien und Anpassungen, Abhängigkeiten und Symbiosen, die sie wieder in die Gesellschaft zurückführen möchte. In ihrer Kunst verwendet sie vorwiegend natürliche Materialien, die sie auf ihre Verwendungsmöglichkeiten und Grenzen untersucht und so umweltfreundliche künstlerische Positionen erarbeitet.
In der hier ausgestellten Arbeit verwendet Anna Handick Zwiebelschalen als alternativen Rohstoff, um daraus ihre hauchzarten Papierkugeln herzustellen.
Anna Handick wurde 1985 in Nürnberg geboren. Derzeit lebt und arbeitet sie in Nicaragua. Sie studierte Bildhauerei an der Akademie der Bildenden Künste Nürnberg bei Claus Bury. Ihre Werke wurden in zahlreichen Einzelausstellungen in Deutschland, Schweiz und Nicaragua gezeigt. Sie erhielt diverse Förderungen u.a. die Debütantenförderung des Bayrisches Staatsministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst und den Young Art Award des Artforum Ute Barth. Ihre Arbeiten sind Teil der Sammlung des Museums der Fundación Ortíz Gurdián in Leon/Nicaragua und der Kulturstiftung der Sparkasse Nürnberg. 2020 gründete sie das Projekt Abacaxi Artspace.
Ecru Medusa, 2025 – Pflanzenwurzeln
Zena Holloway ist Bio-Designerin und Gründerin von Rootfull. Seit über 25 Jahren arbeitet sie als Unterwasserfotografin und Regisseurin, veröffentlicht in Publikationen wie National Geographic, GQ und The Sunday Times und entwickelt globale Kampagnen für Kunden wie Nike, Pepsi, Speedo, Sony und Greenpeace.
Durch ihre Arbeit hat sie die Auswirkungen von Umweltschäden auf unsere Ozeane aus erster Hand miterlebt, von der Korallenbleiche bis zur Plastikverschmutzung. Dies weckte ihre Neugier für die Materialwissenschaft, was zu Forschungen im Bereich Bio-Design führte. Sie baute in ihrem Keller ein Fungarium, um mit Myzel zu experimentieren, und stieß ein Jahr später in ihrem örtlichen Fluss auf das komplexe Wurzelsystem einer Weide:
Was wäre, wenn wir Pflanzenwurzeln während ihres Wachstums so lenken könnten, dass sie schöne, ethische und verantwortungsbewusste Materialien bilden?
Diese Idee wurde zur Grundlage für Rootfull.
Seit 2018 stellt Holloway Graswurzelmaterialien biologisch her und nutzt ihren Hintergrund, um Stücke zu schaffen, die die Formen und Texturen des Meereslebens widerspiegeln.
Kitsune Lady, 2021 - Papiermaché
Leiko Ikemura zählt zu den bedeutendsten Kunstschaffenden der Gegenwart. Ihre Gemälde und Objekte kreisen um Themen der Verwandlung und Verschmelzung von Mensch und Natur. Die hybridartigen Kreaturen und Fabelwesen sind stets schemenhaft dargestellt, im Zustand des Werdens eingefroren. Das herausragende Merkmal dabei ist Ikemuras Fähigkeit, zwei sehr unterschiedliche Pole – die europäische und die fernöstliche Kultur – zu verschmelzen. Ihre stillen Landschaften und die zumeist weiblichen Hybrid-Wesen sind oft Ausdruck von Unbestimmtheit und von den Tiefen menschliche Natur. Ikemuras Skulpturen entstehen meist aus Bronze und Terrakotta oder Glas.
Für das Haus des Papiers schuf sie nun ihre allererste dreidimensionale Papierarbeit überhaupt. Dafür fügte sie einer ihrer bekanntesten Serien ruhender Köpfe zwei neue Exemplare in dem hochweißen Werkstoff Papiermaché hinzu. Die ungeglättete weiße Oberfläche mit den delikat modellierten Gesichtszügen verweist leise auf die Inspiration hinter dem Werk – das mythologische Wesen Kitsune, einen Eisfuchs, der die Gestalt einer schönen, jungen Frau annimmt. Die Präsenz ihrer traumwandlerischen Werke ist stets atemberaubend. Hier ist jetzt eine neue Komponente, das physisch Leichte, hinzugekommen. Im Objekt Kitsune Lady zeigt sich dies besonders schön – eine fragile Form, ein Hauch von Papier. Die Zeit scheint erstarrt. Alles kommt zur Ruhe. Atem erfüllt uns, wie Leben.
Leiko Ikemura (*1951 Tsu, Japan) studierte sie Literatur- und später Malerei-Studium in Sevilla. Sie erhielt zahlreiche Auszeichnungen, u.a. August-Macke-Preis, 2009; Deutschen Kritikerpreis für Bildende Kunst, 2001. 1990–2015 lehrte sie an der UdK Berlin. Weltweite Ausstellungen, darunter: Kunsthalle Karlsruhe; Kunstmuseum Basel; MCBA Musée Cantonal des Beaux-Arts, Lausanne; Museum für Ostasiatische Kunst, Köln; National Museum of Modern Art, Tokyo; Nevada Museum of Art, Reno; Weserburg – Museum für Moderne Kunst, Bremen u.a. Ihre Werke befinden sich in Sammlungen von Centre Georges-Pompidou, Paris; Kunstmuseen Basel, Bern und Zürich; Kunsthalle Nürnberg; Museum Kunstpalast Düsseldorf, u.a.
Radical art 2024-2025 – unterschiedliche Gemüsearten
Sabine Handschuck schneidet schnell nachwachsende Wurzeln, wie Karotten oder Rettich in dünne Scheiben, wässert und walzt sie und fügt sie ohne jeden Zusatz von Bindemitteln zu einem Blatt Papier zusammen. Dabei lässt sie sich von dem natürlichen Material inspirieren und unterstützt die durch das Trocknen entstehende Porosität, kombiniert Formen oder collagiert verschiedene Pflanzenteile.
Aus Radieschen entstehen federleichte Bögen, die an Seidenpapiere erinnern. Pastinaken bestechen durch ihre löchrige Sprödigkeit. Papiere aus Karotten ähneln haptisch dem Pergamentpapier. Jedes Papier hat einen eigenen Geruch, erzeugt in der Bewegung unterschiedliche Geräusche wie Rascheln oder Knistern, jedes hat eine charakteristische Signatur und jedes lässt noch seine pflanzliche Struktur erkennen.
Die Papiere verändern sich mit der Zeit, machen so Vergänglichkeit sichtbar. In manchen Werkstücken entstehen allmählich kleine Brüche, die den Charakter der Kunstwerke bestimmen. Wellen und Falten in den filigraneren Arbeiten zeigen zarte Verletzlichkeit.
Sabine Handschuck (*1955 Ruhrgebiet) studierte Sozial- und Theaterpädagogik, promovierte in Interkultureller Pädagogik, arbeitete in München am Theater der Jugend, in der Münchner Verwaltung und ist Mitbegründerin eines Instituts für Interkulturelle Qualitätsentwicklung. 2011 schloss sie sich der Malgruppe „Meisterklasse“ an, geleitet vom Maler Hans Mayrhofer.. Seit 2019 stellt sie ihre Werke in verschiedenen Münchner Galerien aus.

